Gefühlt ist es noch gar nicht lange her. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich auf Anraten einer Schulfreundin in einem Chatportal angemeldet habe. Plötzlich hatten so viele Leute zuhause einen Computer und dazu auch noch Internet. Es war auf einmal vollkommen normal seine Hausarbeiten aus Wikipedia zu kopieren, anstatt in die Bibliothek zu gehen und Bücher zu wälzen. Genauso wie es zum guten Ton gehörte, in irgendeiner online Community unterwegs zu sein. Für die Freigängerin, die ich damals war, absolut undenkbar.
Wenn ich nochmal genauer darüber nachdenke, dann ist das „gar nicht so lange her“, doch schon 15 Jahre lang vorbei. Was in der Zwischenzeit passiert ist? Darüber möchte ich heute schreiben. Warum? Weil das Thema Achtsamkeit immer wichtiger wird – ja schon, aber das ist nicht der Grund. Was also dann? Vielleicht die Tatsache, dass das Internet mein Leben von Grund auf verändert hat? – Schon eher, aber auch das trifft den Nagel noch nicht ganz auf den Kopf…
Es hat mich verändert – sehr sogar. So sehr, dass ich mir manchmal wünsche, jemand würde einfach den Stecker ziehen.
Mitte 2019 habe ich angefangen, mich ausgiebig mit dem Thema „Internet und dessen Auswirkungen auf mich als Mensch“ zu befassen. Die finale Erkenntnis möchte ich gerne mit euch teilen und diskutieren. Ich freue mich auf eure Reaktionen.
Vom Flussplanscher zum Chatbot
Gerade noch in der Hauptschule und schon in die Liga der Großen gestolpert. In der Berufsschule lernt man eine ganze Handvoll Leute kennen. Von denen bleiben einem zwar die Wenigsten nachhaltig für die Zukunft erhalten, aber in diesem Moment, sind die das Universum in dem man sich für die nächsten Jahre bewegt. Sie sind hipp und cool und ein bisschen fühlt man sich vielleicht außen vor, wenn nicht nur jeder Vierte oder Fünfte, sondern jeder oder meinetwegen jeder Zweite, regelmäßig im Internet surft und dort neue Leute kennenlernt. Menschen, die quasi nebenan wohnen (könnten), denen man sonst aber vielleicht nie begegnet wäre oder denen man selbst auf einer Party normalerweise keine Beachtung geschenkt hätte.
Nicht umsonst waren KWICK und PARTYFANS bis zur Decke gefüllt mir Fotos von irgendwelchen Feiern, auf denen man sich im besten Fall mit völlig fremden Menschen abgelichtet hat. Bis dahin also vollkommen normal. Sollte man meinen. Für meine Wenigkeit… eher nicht so.
Ich habe meine Freizeit immer gerne draußen verbracht. Nicht wie die coolen Kids (die ein oder zwei Jahrgänge über mir) rauchend, trinkend, im Park sitzend oder schwanger werdend. Ich hatte meine beste Freundin, ein paar Marmeladengläser und den einen oder anderen Teesieb, für den es später von Mama immer Ärger gab. Und ich hatte die Motivation, im stinkenden Flusswasser kleine Fische damit zu fangen. Why not. „Was für ein Landei“, hieß es dann früher. Wenn sie damals ehrlich zu sich selbst gewesen wären, hätte sie dran gedacht, dass wir alle aus ein und demselben Kuhkaff kamen o(≧▽≦)o
Alles begann damit, dass ich mich regelmäßig in den Mittagspausen mit meinen Klassenkameraden in diesem Glaskasten getroffen habe. Da gab es zwei Computer, die in den Pausen zur freien Verfügung standen.
Kwick, Knuddels, Partyfans, MySpace.
Das sind nur wenige Beispiele, aber zu diesem Zeitpunkt waren das die prominentesten Gäste unter den Online-Communities. Je mehr Plattformen du genutzt hast, umso besser. Bis ich einige Monate später einen eigenen Computer von meinen Eltern bekam, habe ich jede erdenkliche Pause genutzt, um überall meine Nachrichten zu checken und mit wildfremden Leute zu schreiben. Selbst meine ersten drei, ernsthaften Beziehungen habe ich mir dort erobert. Heutzutage für mich persönlich unvorstellbar.
Auf die Chatportale folgten mit dem eigenen Computer dann unweigerlich Instant-Messanger wie ICQ, MSN und Skype. Wozu nur eins haben, wenn man sie alle haben kann. War doch fast wie Pokémon sammeln…
Das Ende des Lieds: Nächte lang am Rechner sitzen, um mit „Freunden“ zu schreiben, die, um es mal auf den Punkt zu bringen, in Wirklichkeit nichts waren als heiße Luft. Selbst mit der besten Freundin saß man nebeneinander und hat gegenseitig Chat-Kommentator gespielt.
Meine Eltern haben, glücklicherweise, für mich eher unerfreuliche Konsequenzen daraus gezogen und meine Internetzeit auf zwei Stunden begrenzt. Von 18-20 Uhr war nun die Zeit, in der ich alles abarbeiten musste, wofür ich vorher die ganze Nacht Zeit hatte.
Zu der Zeit wurden top Rekorde aufgestellt:
– In der Tippgeschwindigkeit
– Bei der Anzahl der gleichzeitigen Gesprächspartner
– Bei der Anzahl parallel genutzter Chatportale
– Und dabei, nichts davon durcheinander zu bringen
Wenn ich da heute drüber nachdenke, dann war das die Multi-Tasking-Leistung schlechthin.
Stolz kann man darauf nicht sein. Schon gar nicht, wenn man die SMS Rechnung in Hunderterhöhen treibt, um weiter zu texten. Whatsapp war damals ja noch Spucke im Schaufenster.
Vor etwa zwei Jahren habe ich auf Netflix eine Doku mit dem Titel „The dilemma with the social media“ gesehen. Hier wird es tatsächlich auf den Punkt gebraucht. Was einst dazu gedacht war Menschen glücklich zu machen, zu verbinden, ist inzwischen eine Clickbatting-Hölle ohne Gleichen. Früher gab es den Link- und Dislike-Button. Zweiterer wurde irgendwann abgeschafft, weil die Leute reihenweise nicht mehr online kamen, wenn Sie zu viele negativ Reaktionen bekamen. Kaum jemand blieb davon verschont, eine längere oder kürzere Zeit, sein halbes Leben auf Facebook zu veröffentlichen. Im Internet verewigt, für den Rest deines sch*** Lebens. Wundervoll, du dummes Individuum.
Ich sage das völlig Wertungsfrei gegenüber anderen, denn ich spreche hier lediglich von den Erfahrungen, die ich persönlich mit dem Thema gemacht habe. Das nebenbei.
Freunde. Oder sowas in der Art.
In diesem Jahr feiere ich 22 Jahre mit meiner besseren Hälfte. Unglaublich aber wahr. Wenn ich mir meinen jüngeren Verwandten oder Bekannten anschauen, gibt es das heute wohl nicht so häufig. Da kommt es schon mal vor, dass die beste Freundin oder der beste Freund wie die Unterhosen gewechselt werden. Bevor jetzt aber jemand einen Shitstorm loslässt – JA, auch ich hatte so eine Phase und ohne Witz, ich bin froh, dass ich sie hinter mich gebracht habe. Endgültig.
Ich hatte eine Menge tolle Begegnungen. Auch solche, die mir so sehr ans Herz gewachsen sind, dass sie (trotz abgebrochenem Kontakt) jederzeit vor meiner Tür stehen und um ein Kaffeekränzchen bitten könnten. Andererseits habe ich durch diese Zeit auch gelernt, was ich definitiv nicht will oder noch besser, was oder wer mir als individuelle Persönlichkeit, vor allem in meiner charakterlichen Entwicklung, nicht guttut.
Wer sind sie dann also unsere Freunde?
Befassen wir uns hier mal grob geschnitten mit den Portalen Facebook, Twitter, Instagram oder TikTok. Influencer gibt es seit ein paar Jahren wie Sand am Meer, was mal mit Coversongs und Let’s Plays auf Youtube angefangen hat, hat inzwischen unglaubliche Ausmaße angenommen. Überall aktiv sein, überall attraktiv sein, überall Up-to-Date sein, überall sichtbar sein. Und alles natürlich im äußerst positiven Sinne.
Man kann es sich wie Vorder- und Rückseite derselben Münze vorstellen. Wir „kennen“ Hunderte, manche sogar Tausende von Menschen, die wir unsere „Freunde“ nennen. Genauso intim wie sie uns auf der anderen Seite unbekannt sind. Sind das tatsächlich Freunde, Bekannte? Sind es tatsächlich Leute, die man auch zu seiner Hochzeit einladen würde oder die man anrufen würde, wenn ein tragisches Lebensereignis einen einholt?
Suggerieren uns nur Formulierungen wie „Freundschaftsanfrage“ oder „Freundschaft annehmen“ und „Freundschaft ablehnen“, dass wir diese Menschen kennen? Seien wir mal ehrlich, die wenigsten User des WWW würden bei einer Freundschaftsanfrage von einer wildfremden Person auf ablehnen klicken. Aber warum eigentlich? Weil wir uns dabei aus den verschiedensten Gründen schlecht fühlen. Das liegt einfach in der Natur des Menschen – Ausnahmen bestätigen natürlich immer die Regel.
„Vielleicht habe ich den Gegenüber damit verletzt.“
„Kenne ich die Person vielleicht doch und erinnere mich nur nicht an sie/ihn?“
„Oh cool, er/sie ist mit XY befreundet, vielleicht kenn ich die Person ja. Ich nehm‘ das mal an.“
„Noch zwei Freundschaftsanfragen und ich habe mehr Freunde als XY.“
Alles Sätze, die ich schon einmal gehört oder selbst in dieser oder anderer Wortwahl gesagt habe.
Menschen sind so einfach um den Finger zu wickeln. Richtiggehend manipulierbar. Selbst wenn wir Dinge sagen wie: „Ach, ich bin nur mit Familienmitgliedern befreundet“ oder „Ich weiß, dass das keine Freunde sind, aber ich hab Sie mal auf der Kante, für den Fall das mir mal langweilig wird“, ist das im Endeffekt auch nur ein mickriger Versuch sich zu rechtfertigen.
Eskaliert ist es schon vor langer Zeit. Tendenz exponentiell steigend.
Und die Situation hat noch lange nicht ihren Zenit erreicht.
„Social“-Acting statt Quality-Time.
Wollen wir es auf den Punkt bringen, dann müssen wir festhalten, dass das Internet nicht nur ein praktikabler Helfer in allen möglichen Situationen ist. Es ist ein Zeitfresser. Genauso wie der Bekannte, der einem ständig das Ohr mit Dingen abkaut, die einen nicht interessieren oder die schlechte Laune der Freundin, die fast ansteckend ist. Zeitfresser sind die Dinge im Leben, die wir nicht wollen und dennoch tun. Sie bringen uns weder voran, noch haben sie irgendeinen nennenswerten Mehrwert für uns. Es spricht absolut nichts dagegen zu chatten, regelmäßig online zu sein, praktische Dienste auf dem Smartphone zu verwenden und ständig erreichbar zu sein. Es macht das Leben komfortabler. Einfach.
Doch was tut das mit uns? Alle sprechen davon, dass uns die sogenannten „Sozialen Medien“ und unsere Smartphone-Spielereien verbinden. Glücklicher machen. Eben „sozialer“ machen.
Aber ist das wirklich so?
Euch ist sicher nicht entgangen, dass ich wieder eine ganze Weile nicht wirklich mit Bloggen verbracht habe. Ich muss zugeben, dass ich bewusst darauf verzichtet habe. Ich habe nicht mal einen Blick in die Statistiken geworfen – wobei ja klar sein dürfte, was passiert, wenn man nicht aktiv und regelmäßig Beiträge zur Verfügung stellt.
Ich habe nicht darauf verzichtet, weil es mir keinen Spaß macht, immerhin ist es mein Alltagsausgleich und meine Plauderecke in der ich Kontakte zu echt super netten Leuten pflege. Der Grund ist, dass ich mit dem ersten Lockdown (dank Corona) erst gemerkt habe, wie viel Zeit ich eigentlich am Computer oder noch besser, am Smartphone hänge. Grad 30 Jahre alt, glücklich verheiratet, mitten im Leben stehende… Und der Blick aufs Smartphone hat mich durch den Alltag begleitet. Nach dem Aufstehen, beim Zähneputzen, beim Kochen, ja… selbst wenn ich gerade einen echt spannenden Film geschaut habe.
Was soll das? Und warum ist mir das nicht früher aufgefallen? Ach ja stimmt, weil es heutzutage normal ist ständig auf ein Display zu starren und „Wisch“-Bewegungen zu machen. Ohne wirklich wahrzunehmen, was man sieht.
Erinnert ihr euch noch an die Netflix-Doku, die ich vorhin erwähnt habe? Dort haben Sie erwähnt, dass es eine kluge Einstellung am Smartphone gibt die deine Bildschirmzeit kontrolliert. Da kann man sogar festlegen wie viel Bildschirmzeit man sich pro Tag geben möchte. Nach Ablauf der festgelegten Zeit graut es alles aus und man wird für jede einzelne App (und sei es nur die Galerie), die man öffnen will gefragt: „Deine Bildschirmzeit ist für heute abgelaufen. Willst du sie wirklich verlängern?“
Antwortmöglichkeit A: Um 15 Minuten verlängern
Antwortmöglichkeit B: Für heute unbegrenzt
Antwortmöglichkeit C: App wieder schließen
Möglichkeit B bietet sich ganz gut an, wenn gerade jemand in einer Midlife-Crises steckt und mentale Unterstützung braucht. ODER, man bewegt seinen Hintern und geht die Person, die ja wichtig zu sein scheint, einfach mal persönlich besuchen. Und das nennt man dann Quality-Time.
Im Folgenden habe ich mir das im Detail angeschaut und war erstaunt, dass ich tatsächlich über 20 Stunden die Woche das Smartphone Display „aktiv“ hatte. D.h. ich hab entweder draufgeschaut, rumgescrollt, geschrieben oder sonst was damit getan. Schon erschreckend… das sind im Durchschnitt drei Stunden am Tag. Drei Stunden, die ich hätte sinnvoll nutzen können.

Was macht das also mit uns?
Quasi am laufenden Band, hört oder liest man in irgendwelche Medien, dass sich vor allem Influencer mit stark wachsender Community oft nicht mehr in ihrer Rolle wohlfühlen.
An dieser Stelle muss nochmal erwähnt sein, dass ich ausschließlich aus meiner Sicht der Dinge sprechen kann, denn ich habe weder mit diversen Persönlichkeiten gesprochen, noch kann ich in ihre Lebensweise, ihre Psychologie oder Ihre Vision sehen – die Glaskugel wurde leider noch nicht erfunden ┐( ̄∀ ̄)┌
Es gibt viele Dinge die das Netz mit uns macht. Es…
… bildet uns
… füttert uns mit Fake-News und Fehlinformationen
… bring uns einander näher
… führt zu Social Distancing
… lehrt und Menschen zu lieben
… lehrt uns Menschen zu hassen
… entwickelt uns weiter
… beschränkt uns in unserer Denkweise
Und das sind nur ein paar Stichworte um aufzuzeigen, dass auch diese Münze immer zwei Seiten hat.
Es stellt sich die Frage: Wer bin ich eigentlich? Und… wer möchte ich eigentlich sein? Wie möchte ich mich darstellen? Bin ich „Ich“ oder ist es mir lieber jemand anderes zu sein, den Menschen ein Bild zeigen, dass es so gar nicht wirklich gibt – vielleicht weil ich mich so wohler in meiner Haut fühle? Egal wie, jedes der genannten Szenarien bringt seine Schattenseiten mit sich. Denn egal wie wir sind, jeder Mensch ist hier ein Individuum, mit eigenen Zielen und Träumen und es wird immer jemanden geben, dem das nicht passen wird.
Seien es Freunde, die einem den Erfolg nicht gönnen oder schon vorher sagten „das wird eh nichts“.
Oder Wildfremde, die sich ein Bild von dir gemacht haben und dann genervt und enttäuscht sind, wenn sich rausstellt, dass du am Ende des Tages doch ganz anders bist als erwartet. Deren Erwartungen schlichtweg einfach nicht erfüllt wurden (was auch nicht dein Job ist (!)).
Persönlich bin ich unendlich dankbar für die Menschen, die ich bis heute und auch in Zukunft über den Weg Internet kennenlernen durfte und darf – die mich auch in Zukunft begleiten werden. Aber noch dankbarer bin ich für die Menschen, die meinen Lebensweg auch wieder verlassen haben, denn sie sind es, die mir gezeigt haben, was ich in meinem Leben nicht brauche, weil es mir nicht guttut.
Das Internet bietet uns eine Vielzahl von Möglichkeiten, um in unserer Entwicklung und Selbstverwirklichung voran zu schreiten. Aber es bietet mindestens genauso viele Fallstricke, die uns ebenso verzweifeln lassen können – sei es nun auf physischer, sachlicher oder mentaler Ebene.
Über die Jahre habe ich für mich den perfekten Vergleich gefunden, denn im Prinzip ist es wie mit Essen: Die Menge macht das Gift. Und ein verantwortungsvoller Umgang mit unserer wunderbaren Ressource WWW ist das, was uns richtig damit umgehen, Situationen richtig einschätzen lässt und uns vor allem eines, nämlich gesund hält.
Wie steht ihr zu dem Thema und welche Erfahrungen habt ihr mit dem Internet gemacht?
Ich freue mich von euch zu hören (´• ω •`) ♡

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